Die Schriftstellerin Charlotte von Stein - Blog-Archiv der Klassik Stiftung Weimar (2024)

von dem Kuratorenteam des Goethe- und Schiller-Archivs&middot19. Januar 2017

Bis heute findet Charlotte von Stein fast ausschließlich im Bezug zu Goethes Leben und Werk Beachtung. Das Kuratorenteam des Goethe- und Schiller-Archivs zeigt die außergewöhnliche Frau als Schriftstellerin am Beispiel dreier ihrer Werke.

»Dido«

Mit dem Trauerspiel »Dido« vollendete Charlotte von Stein im Jahr 1794 ihr erstes größeres dramatisches Werk. In der Figur des Dichters Ogon, einem von drei Gelehrten am Hof Didos, karikiert die Autorin unverkennbar und auf wenig schmeichelhafte Weise Goethe. Lange sah man deshalb das Stück als einen Akt der Rachsucht aus persönlicher Verletztheit an, als verschlüsselte Darstellung des Verhältnisses der Autorin zu Goethe nach dem Ende ihrer engen Beziehung.

Die Schriftstellerin Charlotte von Stein - Blog-Archiv der Klassik Stiftung Weimar (1)

Charlotte von Stein, »DIDO«, Reinschrift von Schreiberhand mit eigenhändiger Ergänzung, 46 Blatt, gezeigt Bl. 4, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

In der im Goethe- und Schiller-Archiv überlieferten Reinschrift von Schreiberhand findet sich eine größere Ergänzung von der Hand Charlotte von Steins: Zweieinhalb auf einen eingelegten Papierstreifen geschriebene Zeilen, durch Einweisungszeichen als Bühnenanweisung am Schluss der fünften Szene des ersten Aktes markiert.

Indem die Anweisung den ursprünglichen Text durch den Zusatz »die Originale dieser schön gemahlten Trauben, haben schon längst ihren Saft in die Kelter gegeben« erweitert, geht sie über das hinaus, was ein Bühnenbild visualisieren kann – möglicherweise ein Indiz dafür, dass die Tragödie ausschließlich für die Lektüre bestimmt war.

Schiller nannte das Stück »poetisch«, »weil es wirklich eine productive Kraft, nehmlich eine Macht beweißt, sein eigenes Empfinden zum Gegenstand eines heitern und ruhigen Spiels zu machen«. Seinem Wunsch, das Drama zu veröffentlichen, entsprach Charlotte von Stein nicht.

»Neues Freiheits-System oder Die Verschwörung gegen die Liebe«

»Ich schreibe eine Komödie; denn je älter man wird, je lustiger muß man sich das Leben lassen vorkommen. Ich glaube beinahe, sie wird nicht schlecht«, teilte Charlotte von Stein am 28. Juni 1798 ihrem Sohn Friedrich mit. Vermutlich arbeitete sie zu dieser Zeit an einem Lustspiel mit dem Titel »Neues Freiheits-System oder Die Verschwörung gegen die Liebe«. Es enthält Anspielungen auf die Französische Revolution ebenso wie auf die zeitgenössische Literatur und Wissenschaft. Wohl nicht zufällig trägt der komische Held den Nachnamen des berühmten schwedischen Naturforschers Carl von Linné.

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Charlotte von Stein, »Neues Freiheits-System oder Die Verschwörung gegen die Liebe«, Reinschrift von Schreiberhand, 68 Blatt, gezeigt Szene V/16, Klassik Stiftung Weimar

Anders als bei dem fünf Jahre zuvor entstandenen Trauerspiel »Dido« hoffte Charlotte von Stein, ihre Komödie möge »ins Publikum kommen«. Eine Veröffentlichung kam aber zu Lebzeiten Steins nicht zustande. Erstmals gedruckt wurde das Stück 1867, allerdings mit erheblichen Eingriffen des Herausgebers Felix von Stein, eines Urenkels der Autorin. In seiner Bearbeitung wurde das Stück im März 1874 zum ersten Mal am Rudolstädter Hoftheater aufgeführt.

»Die zwey Emilien. Ein Drama in vier Aufzügen. Nach dem Englischen«

Charlotte von Steins Schauspiel »Die zwey Emilien« ist die Bearbeitung eines 1798 erschienenen Romans der englischen Schriftstellerin Sophia Lee. Wie auch in der Vorlage versucht die Waise und Hochstaplerin Emilie Fitzallen die Grafentochter Emilie Arden um ihre Erbschaft zu bringen und ihr den Ehemann abspenstig zu machen.

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Charlotte von Stein (1742–1827), »Die zwey Emilien. Ein Drama in vier Aufzügen. Nach dem Englischen«, Tübingen 1803, Klassik Stiftung Weimar;
Charlotte von Stein (1742–1827), »Die zwey Emilien. Ein Drama in vier Aufzügen. Nach dem Englischen von Friedrich Schiller«, In: »Neueste deutsche Schaubühne für 1805«, 3. Band, Augsburg 1805 (Privatbesitz)

Im Unterschied zum Roman jedoch ist Charlotte von Steins Stück tragikomisch. Nach ihrer Entlarvung erweist sich Emilie Fitzallen weniger als böse Rivalin denn als frühe Feministin, die die Legitimität ihres Handelns verteidigt:

»Mein Betrug war gerechte Rache. – Ja, es bleibt wahr und gewiß. Nie standen die Frauen an ihrem gehörigen Platze, weder nach der Ordnung der Natur, noch nach dem Vertrag der gesellschaftlichen Einrichtung. Was der einen gelingt, stürzt die andere herab. Vorzügliche Eigenschaften schaden ihnen oft, oft nutzen ihnen ihre Fehler und tragen sie aus einer unbekannten Sphäre zu einer höhern Rolle empor. Einmal sind wir alles und bald darauf nichts – Aber ich habe eine Männerseele und will auf keine Art Fesseln tragen.«

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Carl Ludwig von Knebel (1744-1834): »Lebensblüthen«; Visiten- und Spielkärtchen mit Abschriften Sophie von Schardts, Frankfurter Goethe-Haus / Freies Deutsches Hochstift

Das Stück, von dem keine Handschrift überliefert ist, wurde erstmals 1803 anonym bei Johann Friedrich Cotta in Tübingen gedruckt. Wie aus der Korrespondenz des Verlegers hervorgeht, hatte Friedrich Schiller den Erstdruck vermittelt. Ohne Schillers Mitwirkung, doch unter seinem Namen erschienen »Die zwey Emilien« 1805 erneut – eine bemerkenswerte Zuschreibung, die für die literarische Qualität des Stückes spricht.

Vom 20. Januar bis 28. Mai zeigt das Goethe- und Schiller-Archiv die Ausstellung »Charlotte von Stein. Schriftstellerin, Freundin und Mentorin«.

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Mehr über Charlotte von Stein:

Goethes Gedichtbriefe für Charlotte von Stein

Goethes frühe Briefe an Charlotte von Stein neu ediert

Die Schriftstellerin Charlotte von Stein - Blog-Archiv der Klassik Stiftung Weimar (2024)

FAQs

Wie lange waren Goethe und Charlotte von Stein zusammen? ›

Der rege geistige Austausch führt zwischen beiden zu einer tiefempfundenen Zuneigung und Liebe, die über zehn Jahre andauert und die weitere Entwicklung Goethes entscheidend prägt.

Welche Werke gehören zur Weimarer Klassik? ›

Weimarer KlassikWerke
  • Iphigenie auf Tauris (Goethe, 1787)
  • Faust I (Goethe, 1806)
  • Faust II (Goethe, 1831)
  • Don Karlos (Schiller, 1787)
  • Maria Stuart (Schiller, 1800)
  • Wallenstein (Schiller, 1804)
  • Wilhelm Tell (Schiller, 1804)
  • Aristipp und einige seiner Zeitgenossen (Wieland, 1800 bis 1802)

Wer war Goethes letzte Liebe? ›

Dass sie Goethes letzte Liebe war, begründet den Ruhm der Ulrike von Levetzow. Als Goethe 1821 die 17-Jährige in Marienbad traf, war er selbst bereits 72 Jahre alt. 1823 hielt er formell-schriftlich bei der Mutter um die Hand der Tochter an. Der Heiratsantrag wurde allerdings höflich abgelehnt.

Hat Goethe jemals geheiratet? ›

Johann Wolfgang von Goethe heiratete Christiane Vulpius offiziell im Oktober 1806. Er war gegen die kirchliche Zeremonie, die damals die einzige Möglichkeit war, eine Ehe einzugehen. Obwohl sie Goethe 1789 einen Sohn, August, gebar, heiratete er sie erst, als die napoleonische Armee die Stadt, in der sie lebten, plünderte.

Was ist der Unterschied zwischen Klassik und Weimarer Klassik? ›

Was ist der Unterschied zwischen deutscher Klassik und Weimarer Klassik? Es gibt keinen Unterschied in der deutschen Literaturgeschichte. Die deutsche Klassik wird oft mit der Weimarer Klassik gleichgesetzt, da das kulturelle Zentrum die Stadt Weimar war.

Wie war die Sprache in der Weimarer Klassik? ›

In der Klassik wird eine sehr einheitliche, geordnete Sprache verwendet. Kurze, allgemeingültige Aussagen (Sentenzen) sind häufig in Werken der Klassik zu finden. Die wichtigsten Vertreter der Klassik sind: Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried von Herder und Christoph Martin Wieland.

Welches Werk wird der sogenannten Weimar Klassik zugeordnet? ›

Die Literatur der Weimarer Klassik orientiert sich stark an der Antike und ist an den Merkmalen Harmonie, Selbstbestimmung und Menschlichkeit erkennbar. Berühmte Werke aus der Klassik sind „Die Marquise von O“ von Kleist, „Faust“ von Goethe oder „Maria Stuart“ von Schiller.

Wie lange waren Goethe und Christiane zusammen? ›

Christiane von Goethe (* 1. Juni 1765 in Weimar als Johanna Christiana Sophia Vulpius; † 6. Juni 1816 in Weimar) war seit 1788 Johann Wolfgang von Goethes Geliebte und von 1806 bis zu ihrem Tod seine Ehefrau.

Wann lernte Goethe Charlotte kennen? ›

Charlotte von Stein (1742-1827)

Im Jahr 1764 hatte sie den herzoglichen Oberstallmeister Friedrich Freiherr von Stein geheiratet. Im Jahr 1775 lernte sie Goethe kennen.

Hat Goethe Christiane geliebt? ›

Erst war sie Goethes Geliebte, dann seine Ehefrau und Beraterin. Heute vor 250 Jahren wurde Christiane in Weimar geboren. Die Freiheit, von der sie träumte, konnte sie nur zum Teil verwirklichen.

Wen liebte Goethe? ›

Auf einer Reise in das Dorf Sessenheim im Oktober 1770 verliebte sich Goethe in Friederike Brion , doch die Affäre endete im August 1771.

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